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Bundespresseamt

Institution

Interview General Anzeiger: "Widerstände in der Kirche gegen die Aufarbeitung erstaunen mich"


10. Januar 2013, 23:18
PRESSEMITTEILUNG/PRESS RELEASE

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über das Ende der Missbrauchs-Studie und die Arbeit von Professor Pfeiffer

General Anzeiger: Wie haben Sie auf die Nachricht über das Aus der Missbrauchs-Studie reagiert?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es ist sehr schade, wenn eine objektive, wissenschaftliche Aufarbeitung des Missbrauchs in der Kirche scheitert. Es hat lang gedauert, bis der Missbrauch überhaupt ein öffentlich diskutiertes Thema wurde. Dabei wurde auch klar, dass es sich um ein weltweites Phänomen innerhalb der katholischen Kirche handelt. Eine groß angelegte Studie kann daher zur Erarbeitung von Gegenstrategien führen, die nicht nur potenziellen Opfern in Deutschland helfen würde. Die unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung soll ja gerade dem Zweck dienen, die instituionellen Besonderheiten innerhalb der katholischen Kirche herauszuarbeiten, die den Missbrauch begünstigt haben.

General Anzeiger: Fehlt es an ernstem Willen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Die Kirche hat sich selbst öffentlich verpflichtet, die Aufarbeitung engagiert anzugehen. Sie sollte hinter dieser Ankündigung nicht zurück stehen. Widerstände innerhalb der Kirche gegen die Aufarbeitung erstaunen mich. Ein Rückzieher der Kirche würde das Vertrauen, das sie gerade zurückgewinnt, zerstören. Das kann nicht im Interesse der Kirche sein.

General Anzeiger: Hatte sich das Ende der Kooperation angedeutet?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Es war die Kirche, die diese Studie aus eigenem Antrieb in Auftrag gegeben hat. Die Bundesregierung war an dem Vertrag zwischen der Kirche und dem Kriminologischen Forschungsinstitut nicht beteiligt. Dass die Kirchen und das beauftragte Institut Schwierigkeiten hatten zusammenzuarbeiten, war nicht bekannt.

General Anzeiger: Haben Sie Vertrauen in die Arbeit Professor Pfeiffers?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Das Kriminologische Forschungsinstitut ist eine der ersten Adressen für fundierte wissenschaftliche Forschung zu den Ursachen von Kriminalität und geeigneten Strategien dagegen. Es zeichnet sich auch dadurch aus, Fragen aufzugreifen, die in der Luft liegen, die aktuellen gesellschaftlichen Konfliktlinien zu erkennen und mit fundierten Zahlen zu unterlegen. Damit hat gerade Herr Professor Pfeiffer eine aufgeheizte Stimmung einige Male wieder in eine sachliche Debatte zurück geführt. Es ist bezeichnend, dass er die Priester in der katholischen Kirche in Schutz nahm, als in der Öffentlichkeit das Bild entstand, der Missbrauch sei hier der Regelfall, nicht die Ausnahme. Ohne ideologisch zu agieren hat er viele Debatten und damit unsere Demokratie vorangebracht. Zu Unstimmigkeiten über die Auslegung des Vertrags zwischen der Kirche und dem Kriminologischen Forschungsinstitut liegen uns Kenntnisse vor. Und wir werden uns auch nicht einmischen.

General Anzeiger: Muss die Aufklärungsarbeit bei Null wieder anfangen?

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Sowohl die Kirche als auch das Forschungsinstitut haben angekündigt, die Arbeit fortzusetzen, die Kirche will dies mit einem neuen Kooperationspartner tun. Auf dem Erarbeiteten kann also aufgebaut werden. Ein Eklat ist nicht hilfreich. Je schneller man auf konkrete Forschungsergebnisse zurückgreifen kann, desto schneller kann herausgearbeitet werden, wie Missbrauch in Zukunft am besten verhindert werden kann. Das ist in erster Linie im Sinne möglicher Opfer, in zweiter Linie aber auch im Sinne der Kirche selbst. Auch andere Institutionen, die mit der Kirche zusammenarbeiten, werden auf ihre Unabhängigkeit und weitestgehende Forschungsmöglichkeiten bestehen.

© General Anzeiger, Bonn
Autor: Thomas Wittke
Quelle: Bonner General Anzeiger vom 10. Januar 2013

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